Auf zur Kuschelparty!
Die stete Suche nach Streicheleinheiten zeigt sich auch in der Existenz von Kuschel-Partys: Das erste organisierte Zusammentreffen von (fremden) Leuten, die sich berühren, umarmen, die sich nahe sind, ohne jedwede sexuelle Ausrichtung, fand 2004 in New York statt und hat sich von da aus verbreitet.
Auf zur Kuschelparty. „In unserer Gesellschaft herrscht eine Tendenz zum Virtuellen, das haptische, direkte Erleben bleibt auf der Strecke, und es gibt ein großes Berührungsdefizit“, weiß Andrea Kiss, Kuscheltrainerin in Wien. Menschen, die zu ihren Partys kommen, sind zwischen 20 und 85, sind Verkäuferinnen und Managerinnen, Arbeiter und Angestellte. Kiss: „Kuschelpartys fördern auch die Selbstachtung. Man erfährt hier, dass man keineswegs dem Schönheitsideal entsprechen muss, um angenommen zu werden, um liebevolle Zuwendung zu erfahren.“ Liebevolle Zuwendung hätten gerade sie bitter nötig: Menschen, die auf fremde Hilfe angewiesen sind, die in Pflegeheimen vegetieren, Pflegefälle ohne Streicheleinheiten. In der Ausbildung des Pflegepersonals wird heute wohl vermittelt, wie ungeheuer wichtig Berührungen für Lebensqualität und Lebenswillen sind. „Aber das Wissen darum bedeutet nicht automatisch, dass es in die Realität umgesetzt wird“, weiß die Psychologin Daniela Renn. „Zudem gibt es noch immer Pflegepersonal, das nie eine Schule gesehen hat.“
Auch für Patienten im (Wach-)Koma oder Tiefschlaf ist Berührung erwiesenermaßen heilsam. Und Menschen am Ende ihres Lebens kann eine innige Umarmung, ein zärtliches Streicheln diesen letzten, diesen endgültigen Weg ein wenig leichter machen. Berührung bedeutet schließlich auch Geborgenheit. Berührung berührt in jedem Fall. Bartens: „Inspiriert zu diesem Buch haben mich auch die Berichte meiner Physiotherapeutin. Sie erzählte, dass viele Leute anfangen zu weinen und ihre Herzen öffnen, wenn sie von ihr berührt werden. Das macht viel mit ihnen.“
Krank ohne Nähe. „Viele wissen gar nicht, dass ihnen Berührung abgeht. Dieser Mangel aber macht uns unruhig, wir verlieren die Nähe zu Menschen, aber auch zu uns selbst. Das kann auf Dauer körperlich krank machen“, sagt der Psychologe und Psychotherapeut Wolfgang Berger. „Wir wachsen in einer berührungsfeindlichen Kultur auf, vor allem Menschen der westlichen Industrieländer.“ In unserer materiellen und erfolgsorientierten Welt ist der Platz für zwischenmenschliche Nähe extrem geschrumpft. Wir sehnen uns nach Berührungen und halten es gleichzeitig schlecht aus, wenn Fremde uns zu nahe kommen. Von Fremden wollen wir keine Berührung. Und dann gehen wir zu Kuschelpartys und zum Friseur und Masseur und zahlen dafür, dass uns Fremde berühren, dass uns endlich wieder jemand streichelt. Weil der Mensch zugrunde geht, wenn ihm das Lebenselixier Berührung auf Dauer entzogen wird.
Gekürzter Artikel von Claudia Richter (Die Presse) vom 06.09.2014
Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass ich keine Kuschelpartys anbiete. Dieser Artikel soll nur die Wichtigkeit von Berührungen vermitteln.